Paris - 13. November 2015
Nachdem es in diesem Jahr einen sehr persönlichen und schmerzlichen Verlust hinzunehmen gibt, reisen wir nach Paris. Ein Ausflug, der leicht werden soll, der Leichtigkeit wieder anfassbar machen, der verbinden, der interessant sein soll. Paris zeigt sich von seiner schönen Seite, es fühlt sich tatsächlich so schön an, alle lächeln, wir besuchen das Musee d´Orsay, die Paris Photo, spazieren, stöbern, reden, schließen den Abend in einem kleinen süßen Restaurant…
22.50 Uhr ein Anruf aus Deutschland und die Frage, wo wir sind, ob wir gut sind. Alles Lächeln gleitet aus dem Gesicht, im Restaurant um uns richten plötzlich alle ihre Blicke auf ihre Telefone, ein Kellner wirft seine Schürze in die Ecke, rennt in kurzärmeligem T-Shirt los, die Rollläden werden herabgelassen…
Familienangehörige und Freunde sehen das Fußballspiel, sehen, was in Paris passiert. Es ist wie eine Kettenreaktion, immer neue verheerende Nachrichten ereilen uns. Nur 1,4 km von uns entfernt befindet sich das Bataclan. Wir werden angehalten, auf Nebenstraßen nach Hause zu gehen, alle sind entsetzt und schockgefroren. 23 Uhr verlassen wir das Restaurant und laufen 20 min nach Hause. Die Straßen leeren sich, Restaurants schließen, lassen ihre Rollläden herab, Polizisten haben Maschinengewehre im Anschlag…
Unser Apartment befindet sich jeweils fußläufig nah den Restaurants und Bars, wo die Schüsse fallen und der Terror tobt. Wir sitzen paralysiert zu Hause, schauen Nachrichten, lesen die Newsticker. Es hört einfach nicht auf, geht so unendlich lang weiter, Zahlen von Toten und Verletzten folgen, im Stadion ist glücklicherweise keine Panik ausgebrochen, was beruhigt, Bataclan wird gestürmt, dort befindliche Leute bitten um Hilfe, da die jungen Selbstmordattentäter die Menschen regelrecht hinrichten, Restaurants werden beschossen, Präsident Hollande verhängt den Ausnahmezustand und schließt die Grenzen… Facebook richtet die Statusseite ein, man ist froh, den Status „sicher“ bei Freunden und Bekannten in Paris zu lesen.
Uns ist nichts passiert. Wir sind froh, in keinem Hotel zu wohnen, in einer Nebenstraße zu sein. Sirenen begleiten uns durch die Nacht, die keinen rechten Schlaf bietet.
Am nächsten Morgen buchen wir Flüge und brechen unseren Ausflug ab. Museen, öffentliche Einrichtungen, Veranstaltungshallen sind geschlossen. Erneut eine Situation für uns, in der von der einen auf die andere Sekunde alles nicht mehr so ist, wie es war. In der das Leichte schwer geworden ist.
Zu Hause angekommen, ereilen uns weitere Nachrichten: zwei Kollegen unserer Kinder sind im Bataclan umgekommen. Eines der betroffenen Restaurants gehört zu den Lieblingsrestaurants von Freunden, die uns dieses doch noch empfehlen wollten.
Das Bekennerschreiben spricht von einer „gesegneten Attacke“, von Paris als „Hauptstadt der Abscheulichkeit und Perversion“, vom Bataclan als einem Ort, „wo sich hunderte Götzendiener in einer perversen Feier versammelt“ hätten, es wird von der Lobpreisung Allahs geschrieben…. Allah habe es durch die Hände einer Gruppe von Gläubigen „geschafft und Angst in die Herzen der Feinde in ihrem eigenen Land gebracht.“
Ich bin betroffen von der Atmosphäre, in die wir eingetaucht wurden. Ich bin froh über gute Nachrichten der anderen in Paris Verweilenden. Ich bin traurig über die Toten, die Verletzten, den Schmerz der Opfer, der Angehörigen. Und ich bin so verdammt wütend! Wütend, dass es Fanatiker tatsächlich schaffen, junge Menschen zu instrumentalisieren, sich selbst und unschuldige, unbekümmerte Menschen in den Tod zu reißen.
Wir sind ihre Feinde? Menschen, die andere Wertemaßstäbe haben, die Musik hören, die Fußballspiele besuchen, die in Paris leben, die Paris besuchen - Feinde? Warum?
Es geht immer wieder nur um Intoleranz, Machtgeilheit, Stärke demonstrieren. Was soll das für eine Welt sein, in der man Angst einjagt, Wildfremde verletzt und tötet? Warum können sie nicht friedlich mit uns umgehen? Warum müssen wir diesen „Hass“ hören, lesen und spüren?
Sollen sich die, die diese Selbstmordattentäter gehirngewaschen, ausgebildet, manipuliert und finanziert haben, selber umbringen. Sie möchten ihnen nachfolgen? Bitte: das kann ja jeder für sich selber entscheiden. Aber sie mögen es doch bitte mit sich ausmachen.
Sie mögen uns, unsere Kinder, unsere Freunde, die wir ihnen fremd anmuten und unkultiviert, einfach in Ruhe lassen.
Ich habe niemanden beleidigt. Ich bekämpfe keine Andersdenkenden und Andersfühlenden. Ich finde es spannend, mich mit anderen Kulturen und Traditionen zu beschäftigen, sie zu erfahren, kennenzulernen. Unsere Welt ist groß, bunt und vielfältig. Und hat so viel Platz für ein Miteinander und Nebeneinander. Auch Platz für Gegensätze, die sich nicht auflösen lassen, die man bitteschön doch einfach auch mal so stehen lassen kann.
Diese Form der Gewalt ist nicht hinnehmbar. Und ich verweigere mich, mit beklemmenden Gefühlen verreisen, Konzerte, Veranstaltungen meiden zu sollen. Das darf einfach nicht sein.
Ich heiße Fremde und Fremdes willkommen. Und ich möchte nicht, dass uns das jemand antut. Schon gar nicht im Namen einer Religion.
Einen schönen Sonntag.